Der Sealand Brief
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Der Sealand Brief vom März 2003 - 2

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Thema:
Rußland und Europa

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#1: «Eurasische Union wird zur neuen Supermacht»
Duma-Abgeordneter Dimitri Rogosin sieht Russland als Schutzmacht für Deutschland und Frankreich
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#2 Herzland und Supermacht
Die US-Außenpolitik sorgt sich um die Renaissance der eurasischen Geopolitik - insbesondere in Rußland

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#3 Putin und die Eurasier

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#4 Alexander Dugin
Der Stern des unsichtbaren Imperiums

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Stand: Dienstag, 1. April 2003

Herzland und Supermacht

Die US-Außenpolitik sorgt sich um die Renaissance der eurasischen Geopolitik - insbesondere in Rußland

Was die FAZ zu Werbezwecken von sich behauptet, trifft auf die US-Zeitschrift Foreign Affairs zu: daß dahinter ein kluger - zumindest aber ein einflußreicher - Kopf steckt. Mit ehemals führenden US-Politikern wie Richard Holbrooke oder Jeane J. Kirkpatrick im Beraterstab der Redaktion gilt das Blatt als offiziöses Organ US-amerikanischer Außenpolitik. Der Informationsgehalt der Zweimonatszeitschrift ist entsprechend hoch - in diesen Sphären kann man sich nicht mit Propaganda begnügen, man braucht Fakten.

So ist es ungewöhnlich, wenn bereits in der Ankündigung eines Artikels im Inhaltsverzeichnis die Gefahr eines Dritten Weltkriegs beschworen wird. Damit ist aber ausnahmsweise nicht der Balkan gemeint. Es geht um den alten Feind: die russische Außenpolitik. Charles Clover, Büroleiter der Financial Times in Kiew, sieht die Gefahr in einer Wiederauferstehung der Geopolitik, in den "Träumen von einem eurasischen Herzland". In der Tat ist die Fortsetzung des Reichskonzeptes der Sowjetunion als real existierende Großmacht die zentrale Ideologie der "rot-weißen" Bündnisse in Rußland - wozu das Reich zunächst aber durch imperialistische Politik wieder hergestellt werden soll.


Eurasien, das ist die Schaffung einer Achse (Paris-) Berlin-Moskau (-Tokio). Und die Ergänzung dieser Achse durch eine weitere Verbindung Moskau-Teheran-Delhi als direkter Zugriff auf den pazifischen Raum. Ein Reich von Dublin bis Wladiwostok mit dem natürlichen Zentrum Moskau, dem vorbestimmten "Dritten Rom" der Orthodoxie. Eurasien steht auch für ein mögliches Bündnis Rußland-China, bedeutet also die Zusammenfassung der alten Traditionsmächte - gegen jeglichen atlantischen Einfluß. Der Hauptfeind solcher Allianzen, so bemerkt Clover in seinem Beitrag richtig, sind die USA.

Der eurasische Ansatz geht zurück auf den Briten Sir Halford Mackinder, einen der Begründer der Geopolitik - einer Kombination aus Geographie und Politik, die in Deutschland vor allem durch ihre Funktion als Legitimationswissenschaft der imperialistischen Großmachtpolitik der Nazis und ihres Vernichtungskrieges bekannt wurde. Ihr deutscher Hauptvertreter, Karl Haushofer, beging nach dem Ende der NS-Diktatur Suizid.

Wie sein britischer Kollege Mackinder hatte Haushofer die Welt in zwei antagonistische Sphären aufgeteilt: in die Mächte des Landes und die der See. Galt in der Vergangenheit Großbritannien als die bedeutendste Macht der See mit dem "natürlichen Widerpart" der Landmacht Deutschland, so sind die Hauptkonkurrenten nunmehr weiter voneinander entfernt. Rein zufällig sind es die Hauptbeteiligten des Kalten Krieges: Rußland als größtes und bedeutendstes Teilstück der früheren UdSSR und die USA.

Haushofer hatte noch eine Kontinentalpolitik gegen die Mächte der See gefordert. Der vom früheren US-Präsidenten George Bush verkündeten Neuen Weltordnung, so Haushofers heutige neurechte Nachfolger wie der Belgier Robert Steukers oder der Deutsche Frank Ebeling, soll hingegen eine "eurasische Schicksalsgemeinschaft" entgegengesetzt werden.

Entsprechend besorgt ist Foreign Affairs über die Wiederbelebung dieser Ideologie, weil die russische Außenpolitik zweigleisig fährt. Neben dem Außenpolitischen Ausschuß gibt es in der Moskauer Staatsduma auch einen Ausschuß für Geopolitik. Dessen Vorsitzender Alexej Mitrofanov ist Mitglied der rechtsextremen Liberaldemokraten Wladimir Schirinowskis und zugleich ein wichtiger Vertrauter der neurechten Ideologen Rußlands, die Schirinowskis Partei u.a. wegen den Gerüchten um seine angeblich jüdische Familie sonst völlig meiden.

Clover bemerkt, daß sich zahlreiche russische Intellektuelle mittlerweile diametral entgegengesetzt zu ihrer früheren Ideologie des Marxismus-Leninismus orientierten : Statt der Geschichte sei nun die Geographie die Determinante. Erschreckt stellt er fest, daß auch KP-Chef Gennadi Sjuganow zu den Anhängern der Geopolitik zählt. Im Gegensatz zu ihren "nationalpatriotischen" völkischen Bündnispartnern sind die "Sozialpatrioten" Sjuganows vor allem an der Fortsetzung des sowjetischen Reichsgedankens orientiert. So gerät folgerichtig Sjuganows jüngstes Buch "Die Geographie des Sieges" zu einem geopolitischen Manifest, das - wie Foreign Affairs feststellt - "alles aufgibt, was an die traditionelle kommunistische Doktrin erinnert". Sjuganow wörtlich: "Wir leben in einem Zeitalter, in dem die Geopolitik an die Tür klopft. Und das zu ignorieren wäre nicht nur ein Fehler, sondern ein Verbrechen." Karl Marx wird nur zitiert, um nachzuweisen, daß auch er ein Geopolitiker gewesen sei.

Am stärksten beunruhigt Clover der Umstand, daß auch Premierminister Jewgeni Primakow Anhänger der geopolitischen Doktrin zu sein scheint, obwohl er sich nie öffentlich dazu bekannt hat. Für Alexander Dugin, einen der wichtigsten Köpfe der russischen Neuen Rechten, der auch als Berater des kommunistischen Duma-Präsidenten Gennadij Selesnjow gilt, steht dies jedoch zweifelsfrei fest. Sein Thema für den angekündigten Beitrag bei der jüngsten Sababurg-Runde der neurechten Europäischen Synergien: "Die neue russische Geopolitik (Geopolitik Primakows) und die Zukunft Eurasiens".

Thema dieses Treffens, das Ende April in Südniedersachsenstattfand: "Die Achse Berlin-Moskau: Chance und Probleme für Europa". Zu den dortigen Referenten gehörte auch der ehemalige Bundeswehroberst Heiko Möhring, der - noch mit Fragezeichen - über eine mögliche "deutsch-russische Waffenbrüderschaft" spekulierte.

Dugin hat den Deutschen viel zu bieten: In seinem gemeinsam mit Gener#inhaltant Nikolaj Klokotow von der Militärakademie des Generalstabs verfaßten Band "Grundlagen der Geopolitik" wird die Rückgabe des russischen Teils des ehemaligen Ostpreußens als Zeichen des guten Willens erwogen. Da sein Mitautor Klokotow immerhin Direktor des Lehrstuhls für Strategie an der Militärakademie ist, sind solche Überlegungen keineswegs nur absurde Spinnereien.

Clovers Sorgen sind also verständlich. Sie werden dadurch noch gesteigert, daß Dugin entsprechende Schritte auch im Verhältnis zu Japan anrät. So befürwortet er eine Rückgabe der Kurilen-Inseln an Japan als ersten Schritt zu einem Bündnis. Tatsächlich soll im Herbst letzten Jahres ein solcher Vorstoß auf diplomatischer Ebene erfolgt sein. Bestätigt sieht sich Clover in seinen Befürchtungen auch dadurch, daß Dugins Vorschlägen zur Verbesserung der Beziehungen zum Iran und Irak entsprechende Schritte durch Primakow in dessen Zeit als Außenminister folgten. Tatsächlich war Dugin 1994 bei einem Besuch in Italien auch mit dem iranischen Botschafter beim Vatikan zu einem Arbeitstreffen zusammengekommen.

Und die ohnehin stets von Verschwörungsängsten geplagten US-Außenpolitiker müssen heute bei Sjuganow, potentiell nächster russischer Präsident, lesen: "Am Ende des 20. Jahrhunderts wird es immer offensichtlicher, daß der islamische Weg zur einzigen wirklichen Alternative zur Hegemonie der westlichen Welt wird." Und wenn er dann fortfährt, müssen alle Alarmglocken läuten: "Der Fundamentalismus wird verstanden als eine Rückkehr zu den jahrhundertealten spirituellen Traditionen und kann zu sehr positiven Resultaten führen. Es handelt sich um die Rückkehr zu moralischen Normen der Beziehungen zwischen den Menschen, (...) um die Intakthaltung der Moral der Gesellschaft."

Primakow, so die Befürchtung von Foreign Affairs, stelle lediglich eine "sanftere Variante" der Sjuganow-Politik dar. Dem stimmt auch Dugin, der ehemalige Kopf der Nationalbolschewistischen Front, zu. Primakow kombiniere vorbildlich eine linke Wirtschaftspolitik mit einer Ost-Orientierung, der Hilfe für die arabischen Staaten, dem Streben nach einer Re-Integration der alten Sowjetunion und der Unterstützung für den "traditionellen Freund Serbien". Insgesamt handele es sich um den vielzitierten "Dritten Weg" par excellence, um eine Zukunft für die russische Außenpolitik.

Zwar ist im Gegensatz zum redaktionellen Vorspann in Clovers Artikel nichts über die Gefahr eines Dritten Weltkrieges zu finden. Aber die Blattmacher leiten ihre Befürchtung wohl aus den Beiträgen ab, die den von Clover flankieren. So sieht Fred Bergsten einen möglichen "Kampf der Titanen" zwischen den USA und Europa durch die Einführung des Euro. Es gelte "einen Showdown zu vermeiden und die globale Führungsrolle zu erhalten".

Auch Samuel Huntington sieht die US-Führungsrolle bedroht: Die USA seien eine "einsame Supermacht" und zu Kompromissen gezwungen, weil ihre Dominanz nach dem Ende des Kalten Krieges vorbei sei. So einfach wird Washington das aber kaum hinnehmen. Gefährlich dürften also sowohl die eurasischen Großmachtträume wie die Angst der USA vor dem Verlust ihrer Supermachtrolle sein.

Jean Cremet

Erschienen am 12. Mai 1999 in ‹Jungle World›

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